Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
heute kommt eine jahrelange Debatte über einen sehr schwerwiegenden Menschenrechtsverstoß zu einem guten Ende. Zumindest können wir eine wichtige Etappe abschließen. Die brutale Entstellung bis Entfernung der weiblichen Genitalien bei kleinen Mädchen, aber auch weiblichen Jugendlichen wird von heute an in Deutschland als eine schwere Straftat und damit als ein sozialethisch nicht zu akzeptierendes und strafwürdiges Verhalten benannt. Die weibliche Genitalverstümmelung ist eine weltweit verbreitete, von Traditionen und einem sexual- und freiheitsfeindlichem Frauenbild geprägte Qual, die Kindern mit Gewalt angetan wird und die bleibende physische und psychische Schäden verursacht. Sie ist an keine Religion gebunden und steht in den meisten Staaten, in denen sie sehr zahlreich anzutreffen ist, unter Strafe.
Auch Europa und auch Deutschland kennen die Verstümmelung der weiblichen Genitalien bei Kindern und jugendlichen Frauen. Ärztinnen und Ärzte berichten von entsprechenden Befunden und die Organisation Terre des Femmes geht für das Jahr 2012 von ca. 24 000 betroffenen Frauen und ca. 6 000 gefährdeten Frauen und Mädchen in Deutschland aus. Die Verstümmelungen werden zum Teil in Deutschland heimlich vollzogen, es gibt aber auch Berichte über Fahrten in die jeweiligen Herkunftsländer, wo die Verstümmelung oft in unhygienischen Verhältnissen und ohne jegliche Schmerzunterdrückung durchgeführt wird.
Seit vielen Jahren wird international über eine Ächtung der weiblichen Genitalverstümmelung als eine ernste Menschenrechtsverletzung diskutiert. Im Jahre 2012 hat die UNO-Vollversammlung eine entsprechende Resolution angenommen. Die strafrechtliche Durchsetzung staatlicher Verbote solcher Praktiken der Frauenunterdrückung und Frauenmissachtung ist nur ein Mittel der Wahl. Selbstverständlich sind Aufklärung und Prävention, sind Sensibilisierungskampagnen mindestens so wichtig wie strafrechtliche Verbote.
Insoweit gehen wir heute nur einen Schritt, weitere im nationalen, europäischen und internationalem Rahmen müssen folgen. Und auch dieser Schritt hat lange, wir GRÜNEN finden viel zu lange gedauert. Seit Jahren haben wir in vielen parlamentarischen Anfragen, Anträgen und Gesetzentwürfen die Mehrheit in diesem Hohen Hause zum Handeln aufgefordert. Nichts ist geschehen, wenigstens nichts Essentielles. In der letzten Legislaturperiode ist ein Gruppenantrag auf den letzten Metern an der Koalition von CDU/CSU und FDP gescheitert. Unser letzter Gesetzentwurf in dieser Legislaturperiode stammt vom Februar 2011 – Sie haben wieder über 2 weitere Jahre blockiert.
Endlich vor noch nicht einmal 3 Wochen haben auch Sie nachgezogen und einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt.
Wir GRÜNEN hätten weiterhin die Einordnung der weiblichen Genitalverstümmelung in die schwere Körperverletzungsvorschrift des § 226 StGB bevorzugt. Und auch die mögliche Lücke bei im Ausland verübten Verstümmelungen hätten wir gerne geschlossen.
Aber ihr Entwurf enthält die wesentlichen Elemente: eine in sich stimmige Norm, die Begrenzung der Strafbarkeit auf die Verstümmelung weiblicher Genitalien, ein ausreichendes Strafmaß und auch eine Regelung der Nebenklageberechtigung und der Bestellung eines anwaltlichen Beistands für die Opfer.
Wir werden deshalb die Chance, die sich jetzt in der letzten Sitzungswoche bietet, aufgreifen, unsere eigenen Vorstellungen zurückstellen und um der Opfer und der Sache Willen dem Gesetzentwurf der Koalition zustimmen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eine persönliche Bemerkung machen. Wir wissen, dass diejenigen, die in der Debatte um die Straffreiheit der Vorhautbeschneidung bei männlichen Kindern für eine kompromisslose Strafbarkeit eintraten, dies auch mit dem falschen Argument der Gleichheit oder der Vergleichbarkeit der Vorhautbeschneidung bei Jungen und der weiblichen Genitalverstümmelung taten.
Die Ungleichheit dieser beiden Handlungen ist aber evident. Die Vorhautbeschneidung ist ein marginaler Eingriff mit einer sehr geringen Komplikationsrate. Er ist weder auf das sexuelle Empfinden noch auf eine gesellschaftliche Unterdrückung der Jungen gerichtet. Und schließlich ist der Eingriff bei Jungen seit Jahrtausenden auf der ganzen Welt kulturell und religiös integriert und in keinem Staat der Welt unter Strafe gestellt. Die weibliche Genitalverstümmelung hingegen ist international geächtet, auf die Unterdrückung der Sexualität und Freiheit von Frauen ausgerichtet und praktisch immer mit entstellenden und schmerzhaften Verwundungen verbunden. Gerade genitale Sexualkontakte und die Schwangerschaft und Geburt werden so für die betroffenen Frauen zu einer gewollt erniedrigenden Qual.
Der Deutsche Gesetzgeber, wir Abgeordnete haben deshalb das Richtige getan, als wir die Vorhautbeschneidung von Jungen unter strengen Bedingungen für straffrei erklärten und wir tun heute ebenfalls das Richtige, in dem wir die weibliche Genitalverstümmelung als eine ernste Menschenrechtsverletzung unter Strafe stellen.