Vorratsdatenspeicherung im Bundestag
Die Koalition bleibt unbeirrbar, unbelehrbar und unschlagbar ignorant gegenüber Grundrechten: Trotz der seit Monaten anhaltenden deutschlandweiten Proteste, trotz der für die Koalition verheerenden Sachverständigenanhörung, trotz der schon jetzt vorbereiteten Beschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht und trotz der bereits anhängigen Nichtigkeitsklage beim Europäischen Gerichtshof werden CDU/CSU und SPD in dieser Woche die Vorratsdatenspeicherung im Bundestag beschließen.
Selbstverständlich werden wir geschlossen gegen die Vorratsdatenspeicherung stimmen. Mit unserem Änderungsantrag fordern die Bundesregierung auf, ihr Versteckspiel hinter der Richtlinie zu beenden. Sie soll im Gesetz festschreiben, dass die Vorratsdatenspeicherung automatisch außer Kraft tritt, wenn der EuGH die zugrundeliegende Richtlinie für nichtig erklärt. Da die Bundesregierung immer mit ihrer Verpflichtung zur Umsetzung der EU-Richtlinie argumentiert hat, erscheint dies einzig konsequent und richtig.
Bündnis 90/Die Grünen hat eine namentliche Abstimmung zum Gesetzentwurf im Plenum durchgesetzt. Damit müssen alle Abgeordneten Farbe bekennen und dokumentieren, wie ernst sie Bürgerrechte wirklich nehmen.
Was bedeutet die Vorratsdatenspeicherung?
Wer telefoniert, eine SMS verschickt, E-Mails versendet oder einfach nur im Internet surft, hinterlässt Spuren. Diese will Schwarz-Rot künftig speichern. Damit soll die umstrittene Richtlinie zur EU-Vorratsdatenspeicherung umgesetzt werden. Im Eiltempo peitscht die Koalition dieses Projekt durch, damit schon ab Anfang 2008 Telefondiensteanbieter sämtliche Verbindungsdaten ihrer Kundinnen und Kunden sechs Monate lang speichern können. Eines konkreten Anlasses für diese Speicherung bedarf es nicht. Falls jemals in einem Strafverfahren ermittelt wird, sollen die Strafverfolgungsbehörden dann auf Daten von 80 Millionen Bürgerinnen und Bürgern zugreifen können.
Datenfriedhöfe schaffen keine Sicherheit
Wir lehnen die Vorschläge zur Vorratsdatenspeicherung kategorisch ab. Jede obligatorische Vorratsdatenspeicherung und ihre spätere Auswertung durch Sicherheitsbehörden ist ein nicht hinnehmbarer Eingriff in das Grundrecht auf vertrauliche Kommunikation. 500 Millionen EU-Bürgerinnen und -Bürger werden zum Objekt staatlichen Handelns. Die Erstellung von Bewegungsprofilen wird dadurch möglich. Die Anhäufung von Datenbergen ist auch in einer schwierigen Sicherheitslage keine angemessene Antwort eines Rechtsstaates. Kosten und Ertrag dieser Maßnahme stehen in einem unvertretbaren Missverhältnis. Ob das Umsetzungsgesetz verfassungsrechtliche Standards wahren kann, wird in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zu Recht bezweifelt. Die Experten in der Anhörung der Rechtsausschusses haben ebenfalls mehrheitlich die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfs in Frage gestellt und empfohlen von dem Vorhaben Abstand zu nehmen.
Nicht einmal die Erforderlichkeit dieser “Datensammelei” ist nachgewiesen. Deshalb hatten sich alle Fraktionen des Bundestages 2004 anlässlich der Verabschiedung des Telekommunikationsgesetzes einstimmig (!) gegen eine verpflichtende Datenspeicherung auf Vorrat ausgespochen.
Schwarz-Rot will speichern statt löschen
Erneut haben wir Grüne die Bundesregierung mit unserem Antrag im Dezember 2005 aufgefordert, die früheren einstimmigen Beschlüsse des Bundestages gegen die Vorratsdatenspeicherung zur Grundlage ihrer Verhandlungen auf EU-Ebene zu machen. Doch vergebens, an diese Beschlüsse fühlt sich Schwarz-Rot nicht mehr gebunden. Ohne obejktive Begründung, denn weder hat sich die Sicherheitslage seit dem ersten Entschließungsantrag derart verändert, dass die neue Ermittlungsmethode zwingend erforderlich wäre. Noch hat Schwarz-Rot neue Rechtstatsachen vorgetragen, die eine solche Regelung auf europäischer Ebene notwendig machen und eine neue Behandlung dieser Thematik erfordern könnten. Mit ihrem JA zur Vorratsdatenspeicherung hat die Koalition nun einen bedrohlichen Paradigmenwechsel vollzogen: wo früher Löschungspflichten galten, soll nun verpflichtend gespeichert werden.
Vorratsdatenspeicherung muss vom EuGH gepüft werden
Die EU-Vorgabe zur Vorratsdatenspeicherung hätte einstimmig von allen Mitgliedsstaaten verabschiedet werden müssen, weil sie eindeutig Strafverfolgungszwecken dient. Nachdem einige Länder die Datenspeicherei kritisiert und ihr “Nein” angekündigt hatten, wich die EU-Kommission einfach aus. Ihre fadenscheinige Begründung: Bei der Vorratsdatenspeicherung handele es sich um die Harmonisierung des Binnenmarkts. Damit reichte eine Mehrheitsentscheidung aus, der diskutierte Entwurf eines Rahmenbeschlusses ging in der Richtlinie auf.
Unter Federführung unseres rechtspolitischen Sprechers, Jerzy Montag, ist ein Gruppenantrag initiiert worden. Gemeinsam mit anderen Abgeordneten der Grünen, FDP und Linkspartei wird darin die Bundesregierung aufgefordert, gegen dieses unlautere Verfahren Klage vor dem Europäischen Gerichtshof zu erheben. Doch Schwarz-Rot weigerte sich, ein klares Zeichen für ein Europa der Rechtsstaatlichkeit zu setzen und legt stattdessen ein Umsetzungsgesetz vor.
Die Entscheidung des EuGH zu einer Klage Irlands gegen die Richtlinie wird im Frühjahr 2008 erwartet. Wir Grüne halten es für wahrscheinlich, dass die Richtlinie wegen der falschen Kompetenzgrundlage vom EuGH gekippt wird. Dies gilt umso mehr, da der Gerichtshof schon die Fluggastdatenübermittlung “wegen falscher Rechtsgrundlage” gestoppt und damit unsere Rechtsansicht gestärkt hat.